I. Roland: Les maisons rurales du canton de Berne

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Title
Les maisons rurales du canton de Berne. Le Jura bernois


Author(s)
Roland, Isabelle
Published
Bâle 2019: Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde
Extent
584 S.
by
Jean-Pierre Anderegg

Als zweitletzten Band der Buchreihe über die Schweizer Bauernhäuser legt die erfahrene Waadtländer Kunsthistorikerin Isabelle Roland ein stattliches Werk über die ländliche Architektur des Berner Juras vor. Das Buch umfasst knapp ein halbes Jahrtausend einer erstmals systematisch erfassten Baukultur aus dem 16. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Anfangs noch unter der Herrschaft des Fürstbischofs von Basel, gelangte der Jura von Biel bis zur Ajoie 1815 an den Kanton Bern. Nach der Gründung der «Republik» Jura ist der verbliebene Rest im Süden aber nicht nur geopolitisch alles andere als vernachlässigbar: Seine kulturelle Andersartigkeit bildet mehr als einen willkommenen Farbtupfer in der vielfältigen Berner Hauslandschaft.

Nach einer einführenden «Landeskunde» durch die Historikerin Laurence Marti illustriert die Hauptautorin die oft parallel zu den Höhenkurven angelegten Gemeindefluren vom ehemaligen Zelgareal bis hinauf zu den Wiesen, Weiden und Wäldern. In den Dörfern reihen sich die Häuserzeilen meist den Strassen entlang auf. Dieses Bild gilt allerdings für die Zeit vor der Uhrmacherei, die ein Dorf wie Saint-Imier nach dem Brand von 1857 schachbrettartig neu aufbaut und es dabei unglaublich verdichtet: Der Einwohnerbestand von 900 im Jahr 1810 wächst bis 1880 auf 7000 an. Im Gegensatz dazu haben die bäuerlich gebliebenen Gemeinden ihre überkommene Textur beibehalten.

Neben der jahrhundertelangen Ausbeutung der wenigen Bodenschätze (Eisenerz, Kalkstein) gewann auch die traditionelle Landwirtschaft ab dem 16. / 17. Jahrhundert nochmals neuen Schub. Die auf über 1000 m gelegenen Waldgebiete wurden vorab von Täufern besiedelt, die vor der Intoleranz des altbernischen Regimes fliehen mussten. Mit ihren Schulen samt Kapelle leben sie zum Teil bis heute eine eigentliche Subkultur, die sich auch in der Gestaltung ihrer Häuser abzeichnet.

Zum Bild des typischen «Jurahauses» gehört laut Titelbild eine breit hingelagerte, massive Giebelfront mit sorgfältig behauenen Fenstergliedern aus einheimischem Kalkstein, die auch die Nachbargebiete Neuenburgs und der Waadt sowie die angrenzende Franche-Comté prägt. Wie die Autorin in einer Übersicht der bäuerlichen Mehrzweckhäuser darstellt, ist im Berner Jura dieser Typus («à pignon frontal») allerdings in der Minderzahl. Fast zwei Drittel der Bauten präsentieren nämlich ihre Hauptfassade auf der Längs-, das heisst der Traufseite (etwas unglücklich mit «à pignons latéraux» umschrieben). Daneben gibt es einige sehr altertümlich wirkende Walmdachbauten, zum Beispiel das berühmte Haus des Banneret Wisard in Grandval aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts.

Fleisch und Blut erhalten die schematischen Typologien in den exemplarischen Monografien. So wird auf zehn Seiten anhand von neun Planzeichnungen und elf Fotografien ein Haus aus Souboz von 1684, umgebaut 1825, mit allen wünschbaren Details aus der Baugeschichte porträtiert. Sein typologisches Gegenstück, nämlich ein Einzelhof aus der Gemeinde Renan, datiert 1621 bis 1624, präsentiert gleich zwei gleichwertige Giebelfassaden auf der Süd- und der Nordseite. Bauherrschaft wie Handwerker stammen aus dem angrenzenden Neuenburger Hochland, was für den westlichen Berner Jura nicht ungewöhnlich war.

In neuerer Zeit gab es einen anderen, diesmal «nostalgischen» Import von Bauernhausformen aus südlicher Richtung. Nach der Epoche der Täufer sind immer wieder Deutschschweizer Landwirte eingewandert. Nicht selten brachten Emmentaler Bauherren ihre Vorbilder aus der alten Heimat mit, zum Beispiel die Ründi- und Querfirsthäuser, die allerdings auch dem Zeitgeist des Heimatstils entsprachen.

Die Gründung der stattlichen Berghöfe (métairies) in den «hautes joux» war im Ancien Régime ein Privileg des Fürstbischofs sowie klösterlicher und patrizischer Eigentümer. Als Pächter sowohl der ganzjährigen wie der temporären Betriebe auf den eigentlichen Alpen rief man auch hier oft Berner Bauern.

Neben den Mehrzweckgebäuden kommen die «Nebenbauten» im weitesten Sinn nicht zu kurz, im Gegenteil: Isabelle Roland räumt ihnen ebenso viel Platz ein wie den Bauernhäusern. Sie bietet uns damit ein umfassendes Bild der ländlichen Architektur. Dazu gehört vor allem das ganze Spektrum der öffentlichen und gewerblichen Bauten. Im trockenen Jurakarst spielen auch Brunnen und Zisternen eine wichtige Rolle. Eher unerwartet sind die zahlreichen Getreide- und Vorratsspeicher, gepflegte, meist zwischen 1650 und 1750 datierte Kleinbauten, die vom ehemaligen Ackerbau im Berner Jura zeugen. Es gibt davon nicht weniger als 350, ohne die vielerorts auch im Dachgeschoss des Hauses eingebauten Kornkästen.

Schulen, Käsereien und Verkaufsläden sind eine Erscheinung des 19. Jahrhunderts, während Schmieden, Mühlen und Sägereien für das ländliche Wirtschaften schon seit dem Spätmittelalter unentbehrlich waren. In der ausgeklügelten Technologie dieser wassergetriebenen Gewerbe erweist sich die Autorin als unbestrittene Expertin. Auch die Ziegeleien liegen ihr am Herzen. Sie ermöglichten den Wechsel von der brandgefährdeten Schindel- zur Hartbedachung. Neben der eindrücklichen, in situ erhaltenen Anlage von Orvin kann heute die bis 1905 aktive Ziegelei von Péry im Freilichtmuseum Ballenberg besichtigt werden.

Keine Wünsche offen lässt Isabelle Roland in der 200 Seiten umfassenden Darstellung der reichhaltigen architektonischen Details des Bandgebiets. Die ausnahmslos hervorragenden und einsichtig kommentierten Fotografien machen die Lektüre zum Genuss. Es wäre vermessen, in diesem Rahmen die unglaubliche Vielfalt der Erscheinungen nachzeichnen zu wollen. Zwei funktional lebenswichtige Spezialitäten seien erwähnt: die archaisch und zugleich repräsentativ wirkende gewölbte Küche, mit und ohne tué, den pyramidenförmigen Rauchfang, und das devant-huis, der im rauen Lokalklima geschützte Raum vor der Stallscheune.

Ein Wermutstropfen bleibt: Das Ortsregister mit bis über 100 Seitennennungen pro Gemeinde ist schwerlich brauchbar. Ein hausbezogenes Inventar hätte da gute Dienste geleistet. Hilfreicher ist das Personenregister mit über 600 Namen, worin auch ein Teil der Bauhandwerker erscheint, die aus den von Jean-Paul Prongué erhobenen Auszügen der Notariatsregister stammen.

Alles in allem ein reifes und faszinierendes Werk einer engagierten Forscherin, die uns mit dem wachen Blick der Auswärtigen die erstaunlich vielgestaltige Hauslandschaft des Berner Juras näherzubringen weiss.

Zitierweise:
Jean-Pierre Anderegg: Rezension zu: Isabelle Roland: Les maisons rurales du canton de Berne. Tome 4.2: Le Jura bernois. Bâle: Société suisse des traditions populaires 2019. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 83 Nr. 1, 2021, S. 72-74.

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Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 83 Nr. 1, 2021, S. 72-74.

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